Auf der Platte

kaliko

Well-known member
Ich habe eine sehr intensive Foto-woche hinter mir.... mein Ziel war mehrmals die "Donau-city", ein Retorten-stadtteil aus Sichtbeton, Stahl und Glas, der in den letzten Jahren auf der Überplattung der Donau-uferautobahn bei der UNO-city entstanden ist.
Das war für mich eine sehr emotionale Angelegenheit, und entstanden ist meine ganz subjektive Sicht dieser seltsamen Gegend... :think:
Hier ein erstes Bild einer Serie....

lg
Brigitte
 

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wolfgang m.

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Kommentar: Kindheit.jpg
Hallo Brigitte,

die Umsetzung in s/w ist der Schlüssel zur Bildaussage. Dadurch wird verhindert, dass der Betrachter durch vorhandenes Grün (fast wie ein Alibi der Städteplaner), von der Tristesse dieser Monumente unserer Zivilisation abgelenkt wird .
Die dargestellten Personen, allen voran das kleine Mädchen, bieten sehr viel Interpreatationsspielraum.
Ein Bild, das bei mir erst nach längerem Betrachten so richtig Wirkung zeigt.

Viele Grüße
Wolfgang

 
A

Anja_01

Guest
Hallo,
das Bild: technisch Einwandfrei! Die Bildaussage (zu der ich persönlich eine ganz andere Meinung habe) wurde durch die Bearbeitung s/w und Perspektive bzw. der Monotonie und Einsamkeit auf dem Bild noch etwas stärker hervorgehoben.
 

wolfgang m.

Well-known member
@Anaj:...(zu der ich persönlich eine ganz andere Meinung habe)

Welche? Wäre interessant deine Eindrücke kennen zu lernen.
 
A

Anja_01

Guest
Hallo Wolfgang,
gerne. Großstadt und Kinder wird gerne so dargestellt, dass die Kinder in einer trostlosen Betonwüste aufwachsen. Stimmt das? Oder ist es nicht so, dass Stadtkinder viel mehr Möglichkeiten in Bezug auf Bildung, Hobbys und Freizeitmöglichkeiten haben? In jeder Stadt gibt es Hochhäuser - und in jeder Stadt gibt es Grünanlagen, Spielplätze und dazu noch von der VHS angefangen über Jugendclubs etc. Freizeit und auch Bildungsmöglichkeiten für die Jugend. Was gibt es auf dem Dorf? Weite Wege zur Schule und vor allem zu Freizeiteinrichtungen wie Freibad, Kino etc. eben das, was die Jugend braucht. Fazit: die Kids hängen gelangweilt rum. Beispiel letztes Wochenende... wir wollten mit dem Wohnmobil ein gemütliches WE im schwäbischen Allgäu verbringen. Die erste "Kleinstadt" (Kurort): Getränkemarkt, gegenüber Parkplatz und dort jede Menge Jugendliche im Alter von vielleicht 14 bis 16 beim Komasaufen. Das Gleiche Bild bot sich in der Nähe von einem kostenpflichtigen Wohnmobilstellplatz, also ein ruhiges WE war dort nicht möglich. Die Kiddis können nichts mit sich anfangen, vor Langerweile entsteht sowas. Das selbe Bild war in der nächsten "Kleinstadt" (oder großes Dorf) so dass wir unser WE am Bodensee verbrachten. Durch Veranstaltungen, Kinos etc. waren diese "kleinen Chaoten" entweder aufgeräumt ;) oder sie hatten einfach Möglichkeiten, ihre Freizeit vernünftig zu gestalten - das ist meine Meinung. Hier in der Stadt erlebe ich Jugendliche, die Hobbys haben und sich nach der Schule vernünftig beschäftigen können. Zudem auch die Schulischen Möglichkeiten (größere Auswahl an Schulen, Möglichkeiten von gemeinsamer Nachhilfe etc.) vieles besser sind.

Ich selber bin übrigens auf dem Dorf aufgewachsen ;) Freundinnen wohnten weit weg, stundenlange Busfahrt zur Schule, war der Bus weg, kam keiner mehr... ich persönlich möchte nie wieder raus aus der Stadt - Ich wohne seit 20 Jahren in der 2. Großstadt und vermisse nichts! Und wenn ich von der Arbeit komme und die Kinder hier im Hof spielen sehe (mit vielen Freunden, geht auf dem Dorf oft auch nicht da die Freunde 20 km weit weg wohnen) bin ich sicher: Die vermissen auch nichts!

Daher sehe ich Bilder von "trostloser Stadtlandschaft" gerne als Klischee - die Nachteile des Dorflebens kann man mit der Kamera schwer festhalten. Aber wie gesagt - meine Persönliche Meinung.
 

kaliko

Well-known member
wolfgang m. schrieb:
Kommentar: Kindheit.jpg

die Umsetzung in s/w ist der Schlüssel zur Bildaussage. Dadurch wird verhindert, dass der Betrachter durch vorhandenes Grün (fast wie ein Alibi der Städteplaner), von der Tristesse dieser Monumente unserer Zivilisation abgelenkt wird .
Hallo Wolfgang!
Genau das war meine Motivation, hier sw zu versuchen! Ich empfinde die Bäume dort wirklich als ein Alibi. Aber ein durchschaubares angesichts der Übermacht der Mauern, die ich wirklich als sehr bedrückend empfinde. Hochhäuser dieser Höhe und Dichte sind für Wien untypisch und wenn, dann in diesen neuen Retortensiedlungen zu finden.

@Anja: ich finde die von dir begonnene Diskussion sehr interessant  :) , und ich kann deine Argumente gut nachvollziehen....
Es geht mir in dieser Serie aber nicht prinzipiell um "Großstadt" per se, sondern um diese ganz spezielle Ausprägung, um einen auf dem Zeichenbrett geplanten Stadtteil, der im wahrsten Sinn des Wortes keine Wurzeln hat. (drunter rauscht nämlich der Verkehr einer der am meisten befahrenen Stadtautobahnen vorbei) 
Sonst wünsche ich mir in der Stadt oft einen Platz, wo man ein bisschen für sich sein kann. Hier herrscht an vielen Ecken eine Leere, wo das problemlos möglich ist, aber ich kann dir sagen: das Auge bekommt bald Sehnsucht nach Menschen und Farben. (siehe angehängte Bilder)

lg und danke für eure Kommentare!
Brigitte
 

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ruzega

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Über die Qualität dieser Bilder ist schon alles gesagt worden - ich kann mich nur anschließen.
Wenn du aber wissen willst was mir dazu spontan einfällt - das sind die Bauwerke einer Stadt
der Architekten und nicht der Menschen. Das Signal : bleib daheim und stör nicht das Gesamtbild!
lg Christina
 

kaliko

Well-known member
... in den Fenstern der Grundschule spiegelt sich die Realität, der die Arbeiten der Kinder drinnen aber eine ganz andere Vorstellung von "Haus" entgegensetzen - doch seltsam befremdlich in ihrer Uniformität.



lg
Brigitte
 

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Simbyte

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Das letzte Bild hier finde ich richtig interessant.
Normalerweise verflucht man als Fotograf die Spiegelungen in den Scheiben. Gute Idee von dir sie hier so auszunutzen, darauf muss man erstmal kommen  :up:


Gruß Simon
 

wolfgang m.

Well-known member
Viel kreativen Spielraum hat der Kunsterzieher den Kids nicht gelassen...
- oder hatte er vielleicht den Auftrag der Schulleitung, eine geeignete Fenster-Deko
mit den Kindern anzufertigen?

Starke Bildserie. CK ist zwar allgemein nicht nach meinem Geschmack, war hier wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, Details hervorzuheben.

 

kaliko

Well-known member
Auf der Platte ist mancher Durchblick keiner im übertragenen Sinn (1) , und manche Ausblicke sind keine Auswege (2).
Letztendlich habe ich aber einen gefunden und möchte mit diesem letzten Bild (3) meine Serie abschließen.

Danke für eure Kommentare!
lg Brigitte
 

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Biggi L.

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Hallo Brigitte,

eine sehr beeindruckende Serie, die nachhaltig wirkt und einen erstmal innehalten lässt!
Du hast hier mit jeder 'Rate' der Serie tiefgehende, nachdenklich stimmende Eindrücke vermittelt
und tu' ich es ohnehin schon täglich, so weiß ich es jetzt in diesem Moment noch mehr als sonst zu schätzen, dass ich hinter meinem Balkon viel viel Grün und anschließend den Kindergarten als Aussicht habe.

Kann es nur nochmal betonen: tolle Serie!  :up: :up: :up:

Liebe Grüße
Biggi
 

pixxel01

Well-known member
Hallo Brigitte,
tolle, sehr beeindruckende Bilder sind dir da gelungen.  :up: :up: :up:

@Anja: ich lebe auf dem Land (3500 EW) und würde mit keinem Städter tauschen.
Freizeit: mehrere Vereine, u. a. Sport (Fußball, Tennisennis, Tischtennis), freiw. Feuerwehr, Musik-, Heimat- u. Trachten-, Theater- .... und eine Skateranlage, wegen der die Kids aus München kommen.
Freibad - 6 km, Ponnyhof mit Riesenspielplatz (8 km), Bauernhöfe mit Tieren zum Anfassen,
2 Kindergärten, Schule bis zur 4. Klasse (2 km), dann 8 km. S-Bahn und DB-Anschluss.
Einkauf am Ort oder max. 20 km in der nächsten Stadt.
2 Ärzte, 3 Zahnärzte, ........usw. Bin schon ein armes Landei.
VG Micha
 

wolfgang m.

Well-known member
Hallo Brigitte,

der kritische Umgang mit dieser Architektur ist weit schwieriger, als das Spiel der Linien, Formen und Flächen festzuhalten.
Eine wirklich gelungene Serie, bei der die message sehr gut rüberkommt.

Viele Grüße
Wolfgang
 
J

Jo.PinX

Guest
Hallo Brigitte,
eine fotografisch insgesamt sehr bemerkenswerte Dokumentation . . . und eine daraus resultierende nachdenkenswerte Diskussion. Kompliment!
Grüße, Jo.
 

faolchu

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Eine schöne Bilderserie und das Zusammenspiel von Farbe und s/w ist sehr gut gelungen.
Hier wird aber fast nur von der Tristess und Gleichförmigkeit der Architektur geschrieben.

Vielleicht hast Du die Bilder nicht unbedingt mit dieser Intention aufgenommen und bearbeitet, ein weiterer Punkt ist aber viel wichtiger.

Ein gutes Wohnumfeld wird nicht nur von der Architektur bestimmt, diese ist eigentlich nur Mittel zum Zweck und hier vor allen durch praktische Gesichtspunkte getragen. (sollte es jedenfalls)
Wichtiger sind die Menschen, die ein gutes Umfeld ausmachen und da liegt heute ein größeres Problem, als bei der Architektur. Zunehmende Verarmung, finanziell und geistig, und die Konzentration dessen gerade in diesen Gegenden ist ein wichtiger Grund. Ein weiterer Punkt ist die Konkurrenz der Menschen untereinander und die fehlende Gemeinschaft. Kaum einer schaut noch über die Türschwelle und interessiert sich für den anderen. Das Ganze ist ein gesellschaftliches Problem, das in den Bildern sehr gut verdeutlicht wird. Trotz engen Zusammenlebends weiß kaum jemand noch etwas von seinem Nachbarn. So wie in der Gesellschaft kümmert sich jeder nur noch um sich.
Früher war auch gerade hier der Zusammenhang größer, es wurden zusammen Feste gefeiert und man half sich eher gegenseitig. (In manchen Gegenden ist das aber immer noch so).

Für mich verdeutlichen die Bilder sehr gut die gesellschaftliche Vereinsamung der Menschen und das viele an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden, ohne eine wirkliche Chance das zu ändern.

Die Bilder gehen viel weiter, wenn vielleicht auch unbewusst, als eine unwirtlich scheinende Architektur.

:hut:
 

kaliko

Well-known member
faolchu schrieb:
...
Hier wird aber fast nur von der Tristess und Gleichförmigkeit der Architektur geschrieben.
...
Wichtiger sind die Menschen, die ein gutes Umfeld ausmachen ...

Hallo faolchu!
Ja, du hast Recht, - und  ich meine, das eine hindert / fördert wohl das andere, je nach Gelingen.

Generell ist meine Erfahrung, dass Gewachsenes meist besser funktioniert als in großem Stil Geplantes.

Ich habe vor einiger Zeit ein Interview mit einem Architekten gelesen, der sich beschwert hat, was die Mieter nicht alles auf den (von außen einsehbaren) Loggien lagern würden und damit das Gesamtkonzept seines Gebäudes störten. Ich glaube, solches Denken ist die Grundlage der Probleme. Wenn das Ganze dann auch noch räumliche Ausmaße annimmt wie auf der Platte, ist das Ergebnis vorprogrammiert.
Beispiel: offensichtlich geplante "Kommunikationsflächen" - menschenleer; ..... dazu kommen in diesem speziellen Fall noch ausgesprochen unangenehme Effekte der Bauweise, wie Zugigkeit, Hitzestau auf den Betonflächen, usw., die es gar nicht erstrebenswert machen, sich dort länger aufzuhalten

Es reizt mich jetzt richtig, meinem Ausflug auf die Platte eine Serie über die alten Wiener Gemeindebauten gegenüberzustellen..... was das Zusammenleben betrifft, vermitteln sie einen ganz anderen Eindruck. Mal sehen!

Übrigens: auf der Platte wohnen vorwiegend wohlhabende Leute, die es sich offensichtlich leisten können, ihre Freizeit außerhalb zu verbringen. Was die Leere wahrscheinlich noch verstärkt. 
   
@all:
Danke für eure vielen  Kommentare und für die interessante Diskussion!!   :flowers:  :)

lg
Brigitte

PS.: eines fällt mir noch ein - habe ich hier nicht fotografisch dokumentiert: wo immer sich inmitten der durchgestylten Architektur ein privates Plätzchen bietet (Fensterbank - gibt's aufgrund der Fassadengestaltung aber selten - oder Balkon), ist es überquellend bepflanzt und mit Selbstgemachtem individualisiert. Ich glaube, das allein spricht ja schon Bände.  ::)


 
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